Neben den von Hörgeräteakustikern individuell angepassten und eingestellten Hörsystemen, werden im Handel und Internet auch Hörverstärker und durch Software automatisch einstellende Hörgeräte angeboten. Auf den ersten Blick erscheinen solche Geräte als billige Alternative zu Hörgeräten vom gewerblichen Hörgeräteakustiker. Eine sinnvolle Alternative ist dies jedoch nicht, da mit solchen Geräten im schlechtesten Fall sogar Hörschäden verstärkt oder gar verursacht werden können.
Zu starke und zu schwache Verstärkung in den unterschiedlichen Frequenzbereichen
In einer Studie an der Michigan State University wurde festgestellt, dass besonders die billigen Hörverstärker zum Ausgleich eines Hörverlustes ungeeignet sind [1]. Man untersuchte, in wie weit diese Hörverstärker die Verstärkung und den Ausgangschalldruckpegel für drei klassische Hörverluste liefern können. Um vergleichbare Verstärkungs- und Ausgangsschalldruckpegelwerte zu erhalten wurden die drei simulierten Hörverluste mittels der anerkannten NAL Anpassformel berechnet [2]. Diese Hörakustik-Anpassformel liefert Zielfrequenzgänge für unterschiedlich hohe Lautstärken und den maximal zulässigen Schalldruckpegel, mit dem das zu versorgende Ohr beschallt werden darf.
Die Autoren der Michigan State University Studie kamen zur Ansicht, dass die billigen Hörverstärker zu einer Überverstärkung in den niedrigen Frequenzen und zu einer zu schwachen Verstärkung in den hohen Frequenzen neigen. Zudem wurden das starke Eigenrauschen und ein schmaler Frequenzgang der Geräte bemängelt. Des weiteren konnte man Rückkoppelungen nur durch ein Abschwächen der Verstärkung vermeiden. Diese Rückkoppelungen sind jedoch durch ein professionell eingestelltes Hörgerät zu verhindern.
Die deutsche Stiftung Warentest kam bereits vor mehreren Jahren zur Ansicht, dass viele Hersteller von Hörverstärkern auf teure Zulassungsmessungen und Qualitätsüberprüfungen verzichten. Zusätzlicher Nachteil der Billiggeräte sei ein störendes Grundrauschen. Ausprobieren lässt sich das aber erst zu Hause [3].
Hörverstärker können ein Sicherheitsrisiko für das Gehör darstellen
Die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA hat im Jahr 2004 einen Antrag auf Zulassung von Hörverstärkern zum Verkauf unter dem Titel als „zumeist passend“ abgelehnt [4]. In ihrer Stellungnahme unterstrich die Behörde, dass vor der Verwendung einer Hörhilfe die professionelle Abklärung hinsichtlich der Art des Hörverlustes und eine gewissenhafte Untersuchung des Ohres notwendig sind.
Ein deutsches Landesgericht verbot im Jahr 2013 den Verkauf und das Werben für einen Hörverstärker. Das deutsche Hörgeräteinstitut DHI beschrieb den Hörverstärker nach eingehenden Tests als “extrem gesundheitsschädlich” [5].
Achtung bei Hörgeräten in Selbstanpassung
Seit einiger Zeit werden im Handel auch Hörgeräte angeboten, die ohne dem professionelle Zutun eines geprüften Hörgeräteakustikers mittels Software vom Käufer selbst eingestellt werden. In einer 2011 an der University of Hong Kong durchgeführten Studie wurden Fakten zu solchen selbst angepassten Hörgeräten erforscht. Eine der Erkenntnisse dieser Studie war, dass die Endverbraucher solche Hörgeräte selbst nicht korrekt einstellen und damit auch nicht optimal nutzen können [6].
Zusammenfassung
Für eine Rehabilitation von Personen mit Hörverlust sind Hörverstärker und selbst angepasste Hörgeräte in der Regel ungeeignet. Eine der Gefahren von Hörverstärkern bzw. Hörgeräten in Selbstanpassung ist der Verzicht auf eine vorangegangene medizinischer Untersuchung durch einen HNO-Arzt und eine sinnvolle und korrekte Einstellung durch einen professionellen Hörgeräteakustiker.
Hörhilfen welche nicht vom Hörgeräteakustiker angepasst wurden, können jedoch hinsichtlich Verstärkungsakzeptanz und Sprachverstehen zu Schwächen neigen. Individuell angepasste Hörsysteme, die nicht nur Verstärkung und den Ausgangsschalldruckpegel, sondern auch die Bedürfnisse in Bezug auf das Sprachverstehen und die Umgebung berücksichtigen, gewährleisten ein optimales Verstehen der Sprache. Die Kosten der vom Hörgeräteakustiker individuell angepassten Hörgeräte werden – im Falle einer medizinischen Indikation – von Österreichs Sozialversicherungen gänzlich übernommen.
Menschen, die glauben unter einer Hörschwäche zu leiden, können vorab einen Online-Hörtest durchführen und sollten im geringsten Zweifelsfall immer einen Hörtest bei einem Hörgeräteakustiker durchführen lassen und einen HNO-Arzt aufsuchen.
Quellen:
[1] Callaway, S.L., and Punch, J.L. (2008). An Electroacoustic Analysis of Over-the-Counter Hearing Aids. American Journal of Audiology, 17,14-24.
[2] The National Acoustic Laboratories’ (NAL) new procedure for selecting the gain and frequency response of a hearing aid, Byrne D, Dillon H., Ear Hear. 1986 Aug;7(4):257-65.
[3] Hörverstärker: Lauter hören – für kurze Zeit, Stiftung Warentest, test 08/2002
[4] Öffentliche, briefliche Beantwortung der FDA, 3/2004
[5] LG Hagen verbietet Hörverstärker, Hörakustik, 5/2013
[6] Evidence on self-fitting hearing aids, (2011), Wong LL., Trends Amplif. 2011 Dec;15(4):215-25. doi: 10.1177/1084713812444009. Epub 2012 Apr 23.