Für das VHÖ Herbstseminar wurde 2019 Linz als Standort gewählt. Im Zuge der Begrüßung berichtete Präsident Thomas Aigner über die Verjüngung in der Leitung der VHÖ und begrüßte unter anderem Lydia Zechmeister als Schriftführer Stellvertreterin und Peter Salat als Kassier Stellvertreter im Vorstand der VHÖ.
Vergleich von Klassifikationssystemen in komplexen Hörsituatonen
Dr. Mathias Latzel, Phonak, Stäfa
Das Verstehen von Sprache stellt naturgemäß insbesondere in lauter Umgebung für Hörbeeinträchtigte ein Problem dar. Dr. Mathias Latzel berichtete über eine Studie mit 30 erfahrenen Hörgeräteträgern, die in einer „Cafeteria Situation“ durchgeführt wurde. Alle Teilnehmer wiesen einen moderaten Hörverlust auf. Zudem wurden normale kognitive Eigenschaften mittels dem DEMTECT™ Test gemessen. Das Alter bewegte sich zwischen 44 und 86 Jahren und war im Durchschnitt bei 72,6 Jahren. Die Anpassung erfolgte mittels der Anpassregel der Hersteller im FirstFit-Modus und vom jeweiligen Hersteller professionell hergestellten SlimTips.
In der Studie wurde der SNR-Benefit bei unterschiedlichen Positionen eines Sprechers bei einer Unterhaltung am Tisch evaluiert. Dabei musste beim Hören eines Wortes der Kopf zum jeweiligen Lautsprecher hingewendet werden. Des Weiteren wurde eine Testreihe durchgeführt, bei dem das letzte Wort mehrerer OLSA Sätze wiedergegeben werden mussten. Verschiedene Hörsysteme lieferten bei den beiden Aufgaben unterschiedliche Ergebnisse. So verfolgen Phonak und deren Mitbewerber eindeutig differente Philosophien. Die automatischen Systeme haben ein unterschiedliches Verhalten und damit auch eine differente Performance. So können einige Hörsysteme bei geteilter Aufmerksamkeit und andere Systeme bei selektiver Aufmerksamkeit Vorteile bieten. Bei der Lokalisation dynamischer Objekte in räumlicher Wahrnehmung wurde kein Unterschied bei den verschiedenen Hörsystemen festgestellt.
Funktion und Wirkungsweise moderner Hörsystemfunktionen
Klemens Zimmermann, GN Hearing Austria GmbH, Wien
Moderne Hörsyteme weisen unterschiedliche, optionale Funktionen auf. Klemens Zimmermann fokussierte in seinem Vortrag auf einige moderne Wirkungsmöglichkeiten in der Hörgeräteversorgung.
Die WARP Signalverarbeitung modelliert das Signal so, dass die Auflösung und Empfindlichkeit der Ohren nachgebildet wird. Solch angepasste Hörsysteme weisen keine Verzerrungen und eine bemerkenswerte Reinheit des Klanges auf.
Das Hauptziel einer Rückkopplungsunterdrückung (Digital Feedback Suppression – DFS) stellt die stabile Verstärkung ohne Einschränkung in der Klangqualität dar. So können die Nutzer zum Beispiel selbstbewusst kommunizieren, telefonieren, andere Menschen umarmen und auch Hüte tragen. Zimmermann empfahl in diesem Zusammenhang, das DFS bei jeder Anpassung und Veränderung der Schallanbindung erneut anzupassen.
Der Situations Classifier bzw. Situations Optimizer analysiert die akustische Umgebung und modelliert das Signal um die Umgebung in einem digitalen Signal nachzuahmen. So können individuelle Präferenzen in sieben Hörsituationen zu berücksichtigen und damit den Hörkomfort gezielt zu steigern.
Adaptive Störgeräuschunterdrückung (Nose Tracker II™) reduzieren störende Hintergrundgeräusche – unter anderem Stimmengewirr und Hall – ohne das Sprachverstehen zu beeinträchtigen. Während die Regeltiefe vom SNR abhängig ist, zeigt sich das Frequenzverhalten abhängig von der Wahrscheinlichkeit der Sprache. Die Funktion erhöht den Hörkomfort ohne das Sprachverstehen zu beeinträchtigen.
Des Weiteren referierte Zimmermann zur Direktionalität, dem räumlichen Hören mit Spatial Sense und zusätzlichen Funktionen durch den Einsatz von Funk in modernen Hörsystemen.
Probieren Sie noch, oder überzeugen Sie schon?
Michael Kienzle, Kienzle Personaltraining, Achern
Internet, andere Branchen, „verkürzter Versorgungsweg“ und traditionelle Hörakustiker werden sich zukünftig den Markt teilen, ist sich Michael Kienzle sicher. Kienzle sensibilisierte hinsichtlich der Notwendigkeit sich als Fachbetrieb gegenüber den drei anderen Vertriebswegen deutlich abzuheben.
Produkte sind austauschbar, ein komplettes Leistungspaket nicht. Deshalb sei es wichtig Nutzen, Zusatzleistungen, Team und die eigene Dienstleistung in der Kommunikation gut abzubilden. Wichtig sei über die eigenen Leistungen zu sprechen.
„Die Zukunft liegt in der Kundenorientierung und Differenzierung“, so Kienzle. Im Weiteren referierte Kienzle zu den Themen Customer-Journey, Touch-Points, Smart-Content, Wunschkunden, Buying-Center und zur DSGVO.
Zudem sei die Menge an Terminen mit dem Kunden ein wesentlicher Aspekt. Während zu wenig Termine ein Manko an Interesse und Dienstleistung darstellen können, wäre ein Zuviel an Terminen für den Kunden ein Zeichen für fehlende Kompetenz. Kienzle empfahl in diesem Zusammenhang etwa sechs Termine im Zuge der Anpassung eines Hörsystems.
Natural FiAng – eine neue kundenzentrierte Anpassstrategie
Thomas Stefan Müller, Hörwelt Duisburg GmbH, Duisburg
Die praktischen Folgen einer unzutreffenden Verstärkungsgabe umfassen ein unnatürliches Lautheitsempfinden, ein verzerrter Klangeindruck, zu laute Nebengeräusche und eine Übermaskierung höherer Frequenzbereiche. Bisherige Lösungsansätze stellen eine InSitu-Messung und eine Lautheitsskalierung dar. Während eine InSitu-Messung viele Möglichkeiten für Messfehler bietet und falsche Zielvorgaben (NAL,DSL) beinhaltet, ist bei der Lautheitsskalierung ein fehlerhaftes Messsignal – rosa Rauschen wird nicht als gleich laut empfunden – und eine fehlerhafte Messmethode aufgrund der stufenweisen Skalierung anstelle frei wählbarere Intensitäten – die Problemstellung.
Müller berichtete über die Natural Fitting Methode. Es stellt zwölf Messbänder zur Verfügung um Hörsysteme so einzustellen, dass die Träger jeden Frequenzbereich des Gesamtspektrums als gleich laut empfinden. Diese Testbänder haben jeweils einen Umfang von einer Oktave. Dazu stehen zwei Testpegel für alle zwölf Testbänder zur Verfügung.
Audiologie in Bewegung – künstliche Intelligenz für Hörgeräte
Umut Gökay, Sivantos GmbH, Erlangen
Künstliche Intelligenz ist keine Nische in der technisierten Welt. Es stellt viel mehr einen differenzierenden Aspekt am Markt dar. Beispiele und mögliche Anwendungsgebiete für maschinelles Lernen stellen neuronales Processing in den Hörsystemen in Echtzeitanwendungen, offline Processing um zu trainieren und neue Applikationen zu entwickeln und neuronales Processing um Feinanpassungen am Smartphone und in der Cloud zu unterstützen dar.
Die Gefahr von neuronalen Netzwerken ist, dass man nicht beeinflussen und kontrollieren kann, was in den „versteckten Layern“ passiert. Daher muss man das Ergebnis des Netzwerkes immer auf Plausibilität hin überprüfen. Diese Fakten stellen bei der Integration künstlicher Intelligenz bei Hörsystemen zum jetzigen Zeitpunkt noch eine hohe Anforderung dar.
Krankenkassenabrechnung – Erfahrungsaustausch und Diskussion
Aus neun Gebietskrankenkassen entsteht im kommenden Jahr die österreichische Gesundheitskassen. Zudem wird die SVA und Bauernkasse zu den SVS und die BVA mit der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau fusioniert.
MMag. Herdis Menhardt bot einen allgemeinen Überblick über die Zusammenschlüsse der Sozialversicherungen.
Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) und HAFM-Norm ISO 21388:2018 – was bringt uns die Zukunft?
Fritz Zajicek, Wien
Die Verordnung über Medizinprodukte ist sofort in allen 28 Mitgliedsstaaten einheitlich gültig und tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung am 20. Mai 2020 in Kraft.
Die neue Verordnung ist deutlich umfangreicher und stärker regulierend. Alleine der Umfang der Seiten zeigt dies. Während die alte Medizinprodukteverordnung „nur“ 43 Seiten umfasse, wiegt die neue Verordnung mit 175 Seiten den vierfachen Umfang. So sind zum Beispiel Einmalprodukte und deren Aufbereitung sind umfassender definiert. Die Anforderungen an die benannten Stellen und Aufsichtsbehörden werden deutlich verschärft. Die Überwachung nach dem Inverkehrbringen, Vigilanz und Marktüberwachung ausgebaut. Die Klassifizierungsregeln werden für die aktuellen Medizinprodukte angepasst – jedoch bleiben Hörsysteme bleiben in der Klasse IIa.
Die neue Medizinprodukteverordnung gilt laut Anhang XVI auch für Produkte ohne medizinischen Verwendungszweck. Die Übersetzungen in nationale Sprachen müssen jedoch noch korrigiert werden, da einige englische Wörter bislang undifferenziert – und in der Bedeutung inkorrekt – zum Beispiel in die deutsche Sprache übernommen wurde. Zudem fehlen nationale Definitions- und Umsetzungsrichtlinien. Des Weiteren wird es eine EUDAMED Datenbank für Medizinprodukte am dem Mai 2022 geben.
Die Hörakustiker müssen sich für die neue Medizinprodukteverordnung klar werden, welche Funktion und Rolle sie innehaben. So können Hörakustiker entweder Sonderanfertiger (Hersteller) oder Händler (mit deutlich anderen Anforderungen) sein. Jede der beiden Einteilungen haben berufspolitisch signifikante Vorteile aber auch Nachteile. So müsste ein Sonderanfertiger zum Beispiel eine Zertifizierung nach EN ISO 13485:2016 erbringen, es wäre mehr Dokumentation notwendig und es wären strengere Audits zu erwarten.
Abschließend zum Tagungsende informierte Zajicek über die neue ISO 21388. Wiewohl aktuell noch die orEN 15927:2009 „Dienstleistungen in der Hörakustik“ gültig ist, wurde die Entwicklung einer internationalen Norm „HAFM“ seitens Südkorea bei ISO beantragt. Aktuell gibt es einen Draft International Standard zur ISO/DIS 21388:2018(E), der vor der Kommentierung und Abstimmung steht.
Der Schwerpunkt des dann weltweit gültigen Standards liegt in der Anpassungen von Hörsystemen bei erwachsenen Kunden. Sie gilt im allgemeinen für die Versorgung mit Luftleitungshörgeräten und im Wesentlichen auch für Knochenleitungssysteme. Eine Veröffentlichung kann im Idealfall im Frühjahr 2020 erfolgen.
Infos zu kommenden Veranstaltungen der VHÖ finden Sie direkt auf der Homepage vom Verband der Hörakustiker Österreichs: www.vhoe.at